E-Sports: Von der Randerscheinung zum Massenphänomen
Die Arena ist abgedunkelt, die Ränge proppenvoll bis unter die Decke und die Blicke aller sind auf große Displays gerichtet, auf denen die Sportler in Nahaufnahme zu sehen sind. Die sitzen nicht etwa auf Rennrädern, schwingen auch keine Tennisschläger oder überprüfen, ob ihre Fußballstutzen korrekt sitzen. Im Gegenteil: E-Sports-Athleten sehen eher aus wie die Belegschaft einer Call-Center-Niederlassung in Köln-Sülz. Sie tragen ein Headset, haben ihre Hände auf Computertastatur und Maus und starren konzentriert auf einen Computermonitor.
Unbedarfte wähnen sich in einem schlechten Film. Das soll Sport sein? „E-Sports“ lautet der Überbegriff für diese Art von Wettkampf, der vor allen Dingen Fitness bei der Hand-Augen-Koordination, Durchhaltevermögen und Reaktionsgeschwindigkeit erfordert. Während sich der Deutsche Olympische Sportbund mit einer Einstufung von Computerspielen als Sportart zurückhält, ist E-Sport in Brasilien, Korea oder China eine Sache wie Basketball, Tennis oder Leichtathletik – Sport eben. Während in Brasilien E-Sports auf der Beliebtheitsskala immer noch hinter König Fußball rangieren, haben Computerspiel-Turniere in Korea den Fußball längst überholt. Dort finden sich zahlenmäßig weltweit die meisten Fans, die ihren computerspielzockenden Teams beim Klicken auf den Finger schauen. Aber auch in Deutschland gewinnt der displaygestützte Bewerb immer mehr Anhänger. Um nur ein Beispiel zu nennen: In der Kölner Lanxess-Arena geht demnächst die „ESL One Cologne 2015“ über die Bühne – 16 Teams aus aller Welt treten im Taktik-Shooter-Spiel „Counter Strike“ gegeneinander an. Ein Blick auf die aufgerufenen Ticketpreise lässt klar werden, in welche Regionen der einstige Nerd-Zeitvertreib aufgestiegen ist: Ein normales Zuschauerticket schlägt mit 41 Euro zu Buche, für ein Premium-Ticket werden 217 Euro verlangt. Gespielt wird um ein Preisgeld von insgesamt 250.000 Dollar; auf den ersten Platz entfallen immerhin 100.000 Dollar.
Es bedarf nicht erst eines Verweises darauf, dass längst Profi-E-Sportler gibt, die vom Computerspielen leben, damit klar wird: Ein Counterstrike-Turnier dieser Kragenweite hat schon lang nichts mehr mit verrauchten Kellerlöchern zu tun, in denen sich pickelige Nerds zwischen Energy-Drink-Dosenbergen und Pizzakartons nächtelang Gefechte lieferten, nachdem sie vorher stundenlang ihre mühsam angeschleppten PC-Tower und Röhrenmonitore verkabelt haben. Sicherlich waren diese Lokalen-Netzwerk-Parties, kurz „LAN-Parties“, die Geburtsstunde Turniere dieser Größenordnung. Gespielt wird längst auch weltweit; zur Auswahl stehen alle erdenklichen Spieltypen vom militärischen Taktikspiel bis zum Sportsimulator. Auch muss nicht mehr kiloschwere Ausrüstung und kistenweise Kabelsalat mitgeschleppt werden. Die Szene ist erwachsen geworden und die Technik mordern: Längst verfügen sogar Spielekonsolen, Tablets oder Smartphones über eine drahtlose Internetverbindung und sind per Gaming-Center miteinander vernetzt.
E-Sports: Was wird worauf gespielt?
Wenn man es genau nimmt, sind sogar das Tennis-Match, ausgetragen mit der heimischen „Wii“-Konsole, der Autorenn-Simulator im Splitscreen-Modus oder das Billard-Spiel über vernetzte Smartphones „E-Sport“. Voraussetzung ist immer, dass das Spiel über einen Mehrspielermodus verfügt, als Plattform dienen sowohl Spielekonsolen – wie die Playstation, die X-Box oder die Wii – als auch PCs. Gespielt wird in Einzel- oder Mannschaftsturnieren, die Wettkämpfe sind in die gleichen Disziplinen unterteilt. Genau genommen wird E-Sport aber erst zum E-Sport, wenn ein sportlicher Gedanke hinzukommt. Bei Turnieren wird von den Teilnehmern verlangt, dass sie natürlich das jeweilige Spiel beherrschen sowie über ausgeprägte Fähigkeiten hinsichtlich der räumlichen Wahrnehmung, Spielübersicht, taktischen Ausrichtung sowie über Fähigkeiten im vorausschauenden und lateralen Denken verfügen.
Die Ursprünge reichen zurück bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Tic-Tac-Toe, Dame oder Schach wurden für Computer adaptiert – und das als Klassiker in die Spiel-Geschichte eingegangene „Tennis for Two“ bildete den Anfang einer lange Reihe von Sport-Adaptionen. Computerspiele, denen oft der Ruch eines Zeitvertreibs für sozial unfähige, scheue und zurückgezogene Einzelgänger anhängt, haben ihren Ursprung also bereits im direkten Wettkampf von zwei Spielern gegeneinander. Seinen Durchbruch fanden E-Sports in den Siebzigern, als das erste weltweit populäre Videospiel „Pong“ auf den Markt kam. Wenig später folgte „Spacewar!“ – und der erste organisierte Wettkampf mit dem selbstironisch gewählten Namen „Intergalactic Spacewar Olympics“, immerhin an der Standford University.
Durch die aufkommende Netzwerk-Technologie Mitte der Neunziger und eine immer weitere Verbreitung des Internets erfuhren Mehrspieler-Computer-Wettkämpfe einen gewaltigen Aufschwung. Durch den Einzug der Personal Computer (PC) in die Haushalte wurden so genannte LAN-Parties zum Massen-Phänomen. Bis zu 2000 Spieler trafen sich allerorts in Kellern, Vereinsheimen oder Hallen und traten im Wettkampf gegeneinander an. Natürlich führte diese Entwicklung bald zu einer Organisation der Computerspieler untereinander: E-Sports-Vereinigungen wurden gegründet. Ein interessantes Detail dabei ist, dass jene Zusammenschlüsse von Anfang an nicht auf einzelne Länder, sondern entweder ganz Europa oder ganz Nordamerika beschränkt waren. Die „Electronic Sports League“ und die „Clan Base“ entwickelten sich zu den größten europäischen Ligen.
Nun könnte man meinen, die Netzwerk-Spieler traten in diversen Sportsimulationen gegeneinander an, vielleicht im Fußball-Simulator, bei einem Rennspiel oder sonst einer Sport-Adaption. Weit gefehlt. Zwar gab es sehr früh auch schon solche Multiplayer-Spiele, den Löwenanteil bildeten jedoch so genannte Ego-Shooter: „Doom“ und „Quake“ gehören zu den Klassikern. Deren Szenarien haben weniger mit Sport als mit Science-Fiction-Krieg zu tun. In „Doom“ zum Beispiel schleicht der Spieler in der Rolle eines „Space Marines“ durch ein Gänge-Gewirr und steuert seine Figur in der Ego-Perspektive durch verschiedene Szenarien. Der Clou: Was die Figur sieht, sieht der Spieler – er schlüpft sozusagen in das Blickfeld seines Avatars. Die Hintergrundhandlung ist so verstörend wie das Spielziel (alle Feinde töten) einfach: Nach missglückten Experimenten auf dem Gebiet der Teleportation öffnet die Menschheit versehentlich das Tor zur Hölle. Es folgt einen Dämonen-Invasion, die der Spieler bekämpfen muss. Einem ähnlichen Strickmuster folgt „Quake“. Die ausufernde Gewalt und Horrorszenarien im Spielverlauf brachte den Spielen wenigstens das Prädikat „umstritten“ ein.
Angesichts der aktuellen Tactic-Shooter, wo nicht mehr auf höllische Phantasie-Gestalten, sondern auf sehr realistisch agierende Menschen geschossen wird, locken diese beiden Szenarien kaum noch eine Behörde hinter dem Ofen hervor. Das Spiel der Stunde heißt „Counter Strike“ und wird weltweit bei Turnieren gespielt. Weitere aktuelle Spiele sind unter anderem StarCraft (Science-Fiction-Strategie), „Hearthstone“ (Fantasy), Fifa 15 (Fußball-Simulation) oder League Of Legends (Fantasy). Auch in Sachen Merchandise hat sich in den letzten Jahren viel getan. Die meisten Teams die an den Meisterschaften teilnehmen, werden von Sponsoren mit allem ausgestattet was benötigt wird. Hier gibt es einen Gamingstuhl, der auf solchen Turnieren gerne eingesetzt wird.
E-Sports kurios: Erstmals Speicheltests gegen Doping
Nachdem in Seoul im Jahr 2000 die ersten World Cyber Games ausgetragen wurden, fand drei Jahre später der Electronic Sports World Cup im französischen Poitiers statt. 2005 ging es bei der CPL World Tour beim Finale in New York schon um eine Million US-Dollar Preisgeld. Bei der CGS 2007 ging es um über fünf Millionen US-Dollar – E-Sports sind ein ernstzunehmender Markt geworden. Das gilt natürlich auch für die Entwicklung von Spielen, in die bisweilen mehr Geld fließt als in die Produktion eines Hollywood-Blockbusters. Wie immer, wenn es um viel Geld geht, sind krumme Touren nicht weit. Gerade haben die Veranstalter des „ESL One Cologne“ angekündigt, beim größten „Counter Strike“-Turnier Deutschlands mit Speicheltests gegen Doping vorzugehen.
Laut dem IT-News-Portal „Golem“ sollen die Proben nach dem Zufallsprinzip und dem selben Katalog vorgenommen werden, dem alle anderen Sportarten auch unterliegen: Steroide, Testosteron und vor allen Dingen Psychopharmaka, die die Konzentrationsfähigkeit steigern, sind nun auch für E-Sportler verboten. Bei einer im polnischen Katowice ausgetragenen Meisterschaft hatte ein kanadischer Teilnehmer publik gemacht, zur Leistungssteigerung das Psychopharmakon „Adderall“ genommen zu haben. Laut „Golem“ wirkt es ähnlich wie Ritalin und soll die Konzentrationsfähigkeit verbessern. Mit diesem Zustand, der längst nichts mehr mit den Paletten von Energy-Drinks zu tun haben, die bei LAN-Parties obligatorisch waren, soll nun aufgeräumt werden.